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  • AutorenbildAndreas Matuschek

Krisen als Gefahr & Chance: Krisenmanagement in Unternehmen

Wie begegne ich persönlich einer menschlichen Krise in meinem Unternehmen? Bin ich als Führungskraft auf so eine Ausnahmesituation ausreichend vorbereitet? Gibt es übergeordnete Krisenstrukturen im Falle eines Notfalls? Gibt es Personen unter den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen, die im Bereich der psychischen Ersten Hilfe oder in der Psycho-sozialen Notfallhilfe ausgebildet sind und unterstützen können? Wer kann unser Unternehmen von außen sinnvoll und kompetent unterstützen? Was können NotfallpsychologInnen leisten?

Abb. 1: Eine Krise im Unternehmen lässt sich nie alleine lösen, sondern nur als eingespieltes Team.

Dies sind nur ein paar der vielen Fragen und Herausforderungen, die sich ergeben, wenn ein Unternehmen unerwartet in eine Notfallsituation gerät. Situationen akuter Lebensgefahr, schwere Arbeits- und Betriebsunfälle, Todesfälle am Arbeitsplatz sowie Großschadensereignisse oder gar Katastrophen hinterlassen deutlich Spuren in Unternehmen und bei ihren Beschäftigten. Jedes Unternehmen darf und muss sich die Frage stellen, wie gut es auf solche Situationen vorbereitet ist.


Der nachfolgende Abriss soll eine erste Einführung ins Thema Krisenmanagement und Notfallpsychologie in Unternehmen und Organisationen geben. Denn wenn sich Unternehmen bei einem eingetretenen Notfall erstmals damit beschäftigen, sind die Chancen für einen geordneten, angemessenen und kompetenten Umgang mit der Krise gering. Der Einstieg ins Thema ist gegliedert in Notfallprävention (I.), Notfallintervention (II.) sowie Notfallnachsorge (III.), wobei das größte Augenmerk auf der Prävention liegt. Ganz im Sinne des Sprichwortes: "Vorbeugen ist besser als heilen." Und wem die Einführung in das Thema zu theoretisch ist, der möge mich bei konkreten Fragen und Anregungen gerne jederzeit ansprechen oder anschreiben.

I. Notfallprävention

1. Notfallcheck

Der Notfallcheck als Round-Up-Analyse bietet die Möglichkeit einer systematischen Vorbereitung auf potentielle Notfälle und Krisensituationen in Unternehmen und Organisationen und ist somit ein essentieller Teil des Krisenmanagements. Es geht letztlich darum, einen Überblick zu gewinnen, wie gut Ihr Unternehmen im Falle eines eintretenden Notfalls gerüstet ist. Zuerst findet eine Risikoanalyse statt, um die Anfälligkeit beziehungsweise Wahrscheinlichkeit für bestimmte Notfälle sowie die Art und Kategorie möglicher Notfälle zu definieren. Eine Bankfiliale (z. B. Überfall), ein Beförderungsunternehmen (z. B. Suizidversuch im Gleisbett) oder ein in Krisenregionen agierendes Energieunternehmen (z. B. Geiselnahme) haben ganz unterschiedliche Risiken. Zur Risikoanalyse gehören ebenso die Gebäudesicherheit und der Brandschutz.

Der zweite Schritt ist eine Ressourcenanalyse. Es werden also alle bereits vorhandenen Ressourcen, die im Notfall und in Krisensituationen genutzt werden können, umfassend untersucht. Hierunter fallen Notfallpläne (z. B. bei Amoklauf an Schulen, einem öffentlichen Suizid in einem Unternehmen, Massenpanik während eines Brands), Informations- und Entscheidungswege, Kommunikationsanlagen (Festnetz, Smartphone, Tablets und Durchsagen über Lautsprecher oder zentral auf allen Bildschirmen), spezifisch qualifiziertes Personal (Stichwort: Krisen- oder Notfallmanager, Psychologische und medizinische Ersthelfer usw.) sowie Erfahrungen mit bereits überstandenen Notfällen.

Der dritte Schritt des Notfallchecks ist die Analyse psychosozialer Belastungen. Hier wird das Betriebsklima (anhand von Krankenständen, Fluktuationen, Mitarbeiterzufriedenheit) ebenso eingeschätzt, wie das Risiko für eine Gefährdung in der Arbeitsaufgabe, in der Arbeitsorganisation, in den sozialen Beziehungen und in der Arbeitsumgebung.

Abschließend wird ein Round-Up-Fazit gezogen, in dem die Chancen und Hindernisse zur Umsetzung eines gelingenden Krisenmanagements unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Risiko- und Ressourcenanalyse, der Analyse der psychosozialen Belastungen, sowie der Psychodynamik in Extremsituationen umfassend bewertet werden.


2. Notfallstrategie

Die Basis für die Erarbeitung einer Notfallstrategie bildet das Ergebnis des Notfallchecks (Punkt 1.). In Form eines Strategie-Workshops wird mit wichtigen "Funktionsträgern" (z. B. Führungskräfte, qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, Betriebsarzt, Arbeitspsychologen) eine Strategie für potenzielle Notfälle im Sinne eines Notfallplans erarbeitet. Konkret wird also die Aufbau- und Ablauforganisation inklusive Krisenkommunikation (s. I.4) für mögliche Notfälle entwickelt. Hierbei muss ein Krisenstab beziehungsweise Krisenteam definiert werden inklusive Funktionen, Aufgaben, Kompetenzen und Verantwortungen. Dazu gehören auch die innerbetrieblichen Entscheidungs-, Informations- und Kommunikationswege, sowie Betreuungsangebote. Außerdem muss neben der internen Kommunikation die externe Kommunikation im Krisenfall (Zusammenarbeit mit Einsatzkräften, Pressekontakte, Information von Angehörigen und der Bevölkerung, Informationen auf sozialen Plattformen) geklärt werden. Ziel der Notfallstrategie ist es, das definierte Krisenteam in die Lage zu versetzen, auch unter hohem Druck die richtigen Entscheidungen treffen zu können. Denn in einer krisenhaften Situation ist eine gut organisierte Kommunikation (intern und extern) auf allen Ebenen und zwischen allen Akteuren unabdingbar, manchmal sogar (über-)lebenswichtig.

Abb. 2: Es muss vor einem möglichen Notfall geklärt sein, wer im Bedarfsfall wann mit wem zu welchem Zweck kommuniziert, wie Informationen gewonnen und weitergegeben und Entscheidungen getroffen werden!

3. Fortbildung "Psychische Erste Hilfe"

Menschen sind nach einem schweren Arbeits- oder Betriebsunfall sowie einem plötzlichen Todesfall eines Kollegen oder eine Kollegin in den ersten Momenten häufig überfordert und hilflos. Sie wissen nicht mit der Situation umzugehen. Daher ist es besonders wichtig, die eigenen Mitarbeiter in Psychischer Erster Hilfe weiterzubilden, um sich selbst und gegenseitig zu unterstützen. Die Begrifflichkeiten unterscheiden sich hierbei zwischen unterschiedlichen Ausbildungen und Institutionen. Meine Aufgabe als aktiver Notfallpsychologe ist es etwa beim Rettungsdienst kollegiale Ansprechpartner auszubilden, Kriseninterventionsteams beim deutschen Roten Kreuz, Vertrauenspersonen und Ersthelfer bei der Deutschen Bahn, qualifizierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Unternehmen, Krisenbegleiter in Kliniken, und Peers bei der Bundeswehr. Inhaltlich sind es dieselben Kernkompetenzen, lediglich die Tiefe der Ausbildung unterscheidet sich abhängig von der Vorbildung, den geplanten Kompetenzen und Funktionen im Unternehmen und der zur Verfügung stehenden Zeit für die Weiterbildung. Bestandteil sind stets die möglichen psychischen Reaktionen, die extreme Ereignisse zur Folge haben können. Zudem welche hilfreichen Möglichkeiten des Umgangs es gibt und wie es gelingt, wieder Kontrolle zu gewinnen und die Selbstwirksamkeit sowie Handlungsfähigkeit von Betroffenen zu stärken. Es geht also um die Grundlagen der Traumatologie (Stressfaktoren und -empfinden sowie unterschiedliche Reaktionen auf Belastungen), Elemente psycho-sozialer Notfallhilfe (angemessener Umgang mit Betroffenen und deren grundlegende Bedürfnisse in Krisensituationen) sowie um Selbstschutz & Psychohygiene (Bewältigungs- & Copingstrategien, Work-Life-Balance und Psychosoziale Schutzfaktoren).


4. Fortbildung "Krisenkommunikation in Notfällen"

Neben der adäquaten Betreuung von Betroffenen ist es ebenso wichtig, unter hohem Druck die richtigen Entscheidungen treffen zu können und zu kommunizieren. Nur wenn klar ist, wer im Bedarfsfall wann mit wem zu welchem Zweck kommuniziert, wie Informationen gewonnen und weitergegeben und Entscheidungen getroffen werden, können Notfälle professionell gemanagt werden. Ziel der Weiterbildung ist es unter Berücksichtigung der Psychodynamik von Notfällen und krisenhaften Situationen und der konkreten Situation vor Ort (abhängig vom jeweiligen Unternehmen) dem Krisenstab bzw. Krisenteam inklusiver aller wichtigen Funktionsträgern die zielgerichtete Informationsgewinnung und -verarbeitung sowie notfallerprobten Kommunikationsmöglichkeiten zu eröffnen. Wichtig ist hierbei die Nutzung der Notfallstrategie und des Notfallplans sowie ein tiefes Verständnis der notwendigen internen und externen Krisenkommunikation. Es geht also um die Psychodynamik in Krisen (Reaktionsmuster von Menschen und Menschengruppen in Krisensituationen, Gruppeneffekte usw.), die Elemente psycho-sozialer Notfallhilfe (s. I.3) sowie um den Aufbau und den Ablauf der Krisenkommunikation (intern und externe Kommunikation auf allen Ebenen und zwischen allen Beteiligten). Speziell zu Krisenkommunikation, um dies etwas genauer zu beleuchten, gehe ich im Artikel Krisenkommunikation ein.


5. Notfallübungen

Notfallübungen sind eine effektive Möglichkeit der Vorbereitung auf Notfallsituationen und somit Teil der Notfallprävention. Sie schaffen die Voraussetzungen, strukturiert und organisiert auf ein durch einen Notfall ausgelöstes Chaos reagieren zu können. Zudem können die Notfallstrategie und die Krisenkommunikation getestet werden und das qualifizierte Personal den Ernstfall üben, um Selbstsicherheit zu erlangen. Darüber hinaus können die gemachten Erfahrungen unmittelbar aufgearbeitet werden und die Strategie und der Notfallplan noch weiter optimiert werden. Es bietet sich hier durchaus auch die Einbindung von Einsatzkräften von Rettungsdienst, Feuerwehr und Polizei an. Auf diese Weise bekommen Sie aus der eigenen Erfahrung heraus eine Idee, wie gut das Notfallmanagement kompatibel mit externen Hilfskräften ist und wo Potential für Verbesserung besteht.

Abb. 3: Sie erhalten dadurch einen Einblick in die "Blaulichtorganisation", lernen deren speziellen Strukturen und Regeln besser zu verstehen und optimieren dadurch in Notfällen entscheidende Schnittstellen.
II. Notfallintervention

1. Task Force

Der Notfallcheck, die Notfallstrategie, die Fortbildungen in "Psychische Erste Hilfe" und "Krisenkommunikation" sowie Notfallübungen sind wichtige, unabdingbare Pfeiler der Prävention im Falle einer Krisensituation und wappnen Sie und Ihr Unternehmen vor den unkontrollierbaren Folgen eines Notfalls, welches Sie unvorbereitet trifft. Dennoch kann es zusätzlich hilfreich sein, in Form einer professionellen Task Force (z. B. zertifizierte Notfallpsychologen und Notfallpsychologinnen) in der Akutphase eines größeren Notfalls Unterstützung zu erhalten. Die Idee ist die Steuerung und Koordination der Psychodynamik von Notfällen und Extremereignissen, der psycho-sozialen Betreuung von internen und externen Betroffenen, der internen Kommunikation (Förderung der Informationsgewinnung und -verbreitung und Findung und Umsetzung von zielführenden Entscheidungen) sowie der externen Kommunikation (Schnittstelle zu den Einsatzkräften, zur Presse und zu externen Betroffenen und Angehörigen). Also eine Unterstützung bei all den in der Notfallprävention erlernten Fähigkeiten. Besonders bietet es sich hier an, dass die Task Force durch die Implementierung der präventiven Schritte bereits organisationsinternes Knowhow erworben hat.


2. Notfallhotline

Für das Krisenmanagement bietet es sich zudem manchmal an eine Notfallhotline für die psychosoziale Unterstützung der Betroffenen von extremen Ereignissen zu schalten, die im Akutfall eingerichtet wird und durch ein einsatzerfahrenes Expertenteam besetzt wird. Dort haben dann die Beschäftigten des Unternehmens, die unverletzt intern und extern Betroffenen, sowie Ersthelfer und Einsatzkräfte die Möglichkeit über ihre Ängste und Sorgen vertraulich zu sprechen, eigene Reaktionen besser einordnen zu können, einen hilfreichen Umgang mit eigenen Belastungsreaktionen zu entwickeln und im Bedarfsfall weiterführende Hilfen zu erhalten. Abgesehen von der Akutphase gibt es zudem den Trend, die psycho-sozialen Belange der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen auf sogenannte EAP-Anbieter (EAP = Employee Assistance Program) auszugliedern. Hierbei ist darauf zu achten, dass diese Anbieter auch in Krisensituationen die notwendigen Kompetenzen haben, um die Betroffenen angemessen unterstützen zu können.


III. Notfallnachsorge

1. Psycho-soziale Betreuung

Durch präventive Maßnahmen und durch die kompetente Notfallintervention, ergibt sich nur in manchen Fällen der Bedarf für eine weitere psychologische Betreuung in Form von Entlastungsgesprächen oder einer ambulanten oder stationären psychotherapeutischen Behandlung. Möglich ist zunächst einmal ein weiterer Kontakt zu Experten (z. B. MitarbeiterInnen die in "Psychische Erste Hilfe" qualifiziert sind, Notfallpsychologen:Innen) in Form von persönlichen Gesprächen, Telefonaten und/oder Mail-gestützten Kontakt von Betroffenen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen. Nur bei Bedarf erfolgt dann eine weiterführende Vermittlung zu therapeutischen Hilfsangeboten.


2. Follow-Up-Analyse

Bei einer Notfallübung (s. I.5) bietet es sich wie bereits erwähnt an, eine Follow-Up-Analyse zur Evaluierung des krisenhaften Ereignisses zu tätigen, um eventuell weitere Optimierungen Ihrer Notfallorganisation und Ihres Krisenmanagements vorzunehmen. Selbstredend bietet sich eine umfassende Follow-Up-Analyse mindestens genauso nach einem realen Notfall an. Ein sinnvoller Zeitrahmen ist hier circa 3-6 Monate nach dem Eintritt des Notfallereignisses. Die gewonnen Daten können dann wiederum genutzt werden, um die einzelnen Bereiche der Notfallprävention weiter zu optimieren und neben der Einarbeitung von gemachten Fehlern auch die Ressourcen zu betonen und damit die Selbstwirksamkeit und Selbstsicherheit der unterschiedlichen Akteure nachhaltig zu stärken.


IV. Fazit

Das Themenfeld der Notfallpsychologie und des Krisenmanagements in Unternehmen ist mannigfaltig und komplex. Deshalb blieb es bei einer kurzen Einführung in das Thema ohne auf den Umgang mit bestimmten Situationen und Personenkreisen wie etwa einer Massenpanik bei einer Gasexplosion oder einem Brand im Unternehmen, Vergewaltigungen, Raubüberfälle oder Einbrüche in der Organisation sowie Großschadensereignissen in Unternehmen genauer einzugehen.

Zudem habe ich versucht in aller Kürze eine Übersicht über die wichtigsten Bestandteile von Krisenmanagement zu geben. Dies soll die Reichweite und Tiefe des Themas deutlich machen, aber nicht zur Abschreckung führen, weil das Thema kaum zu fassen scheint und deren Umsetzung im eigenen Betrieb sehr abstrakt anmutet. Einzelne Bausteine und ein auf die Betriebsgröße angepasstes Konzept mit Umfang und Tragweite sind hier der Schlüssel. Oft lassen sich in Unternehmen schon mit minimalen Veränderungen und des gezielten Einsatzes gewisser Bausteine aus dem Gesamtpaket des Krisenmanagements einige gewünschte Veränderungen erzielen.

Interessierten LeserInnen möchte ich das Grundlagenlehrbuch "Notfallpsychologie" von Lasogga & Gasch empfehlen. Interessierte Kolleginnen und Kollegen können auf der Website der Deutschen Psychologen Akademie etwas über die Weiterbildung im Bereich Notfallpsychologie erfahren. Unternehmen können unter https://www.notfallpsychologenregister.de/ Notfallpsychologen:Innen in Ihrer Nähe finden. Bei weiteren Fragen und Anregungen zum Thema und bei einer ersten Annährung der Umsetzung und Verbesserung des hauseigenen Krisenmanagements kontaktieren Sie mich gerne jederzeit.


Treffend formuliert es auch folgendes Zitat:


"Das Wort Krise setzt sich im Chinesischen aus 2 Schriftzeichen zusammen. Das eine bedeutet Gefahr und das andere Gelegenheit." (John F. Kennedy)


Wie der Titel des Artikels bereits ankündigt, liegt das komplette Entwicklungspotential stets in jeder Krise. Es kann etwas dramatisch formuliert der Anfang vom Ende sein, oder mit etwas Vorbereitung, Reflexion der Fehler und Integration von Verbesserungen eine Chance für einen Neustart. Veränderte und verbesserte Entscheidungswege und eine stimmigere Kommunikation wirken ohnehin fruchtbar und beflügelnd auf Teamatmosphäre und die Motivation von Mitarbeiter:innen. Dies sind Erfahrungswerte in der Doppelrolle als Coach und Notfallpsychologe in Unternehmen. Also ran an den Speck, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist.


Ihr Andreas Matuschek


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