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AutorenbildAndreas Matuschek

Vom Büro ins Cockpit: Was mir der Erwerb der Privatpilotenlizenz für meine Arbeit als Wirtschafts- und Notfallpsychologe lehrt

Mit dem erfolgreichen Erwerb meiner ersten Pilotenlizenz (LAPL = light aircraft pilot licence) habe ich in einem meiner Hobbies letzte Woche einen wichtigen Meilenstein erreicht. Der Erwerb einer Privatpilotenlizenz (LAPL oder PPL) mag auf den ersten Blick wie ein teures, exotisches und etwas aus der Zeit gefallenes Hobby erscheinen, doch die Erfahrungen und Fähigkeiten, die dabei entwickelt werden, reichen weit über das bloße Fliegen hinaus. Für jemanden wie mich, der die PPL mit einer gewissen Naivität anging, eröffnete sich eine Welt der Einsichten und Lektionen, die nicht nur für meine Arbeit als Wirtschafts- und Notfallpsychologie von unschätzbarem Wert sind, sondern die mich auch privat weiter reifen ließen. Hier sind einige Schlüsselerkenntnisse, die aus dieser Reise resultierten und es weiterhin tun:

Abb. 1: Die Welt mit ihren Städten und Landschaften real von oben zu sehen ist wie eine kurze Meditation, eine Unterbrechung des Alltags und ein Perspektivenwechsel, der mich oft zum Nachdenken anregt.

I. Entscheidungsfindung unter Druck


Wirtschaftspsychologie: Ambivalenz und Mehrperspektivität haben bei mir schon so manche rasche Entscheidung verschleppt, vielleicht kennen Sie das auch von sich. Im Cockpit ist die Fähigkeit, schnelle und fundierte Entscheidungen zu treffen, lebenswichtig. Durch gute mentale Vorbereitung lassen sich für unterschiedliche Szenarien, die eintreten könnten, bereits Lösungsansätze skizzieren, die dann abgerufen werden. Bei Schlichtungen oder bei hitzigen Beratungen im Arbeitskontext nutze ich diese Strategie vermehrt, um die wahrscheinlichsten Dynamiken zu antizipieren und vorzubereiten. Ebenso müssen von mir supervidierte und beratende Geschäftsführer und Führungskräfte oft unter hohem Druck und Unsicherheit agieren, dort hilft eine strukturierte Entscheidungsfindung ebenso. Die Ausbildung als Pilot lehrte mich also insgesamt noch mehr, wie man Informationen effizient verarbeitet und strukturiert, Risiken abwägt und rationale Entscheidungen trifft – essenzielle Fähigkeiten in der Unternehmensführung.

Notfallpsychologie: In Notfallsituationen müssen Entscheidungen blitzschnell und oft unter extremem Stress getroffen werden. Die Pilotenausbildung vermittelt Techniken zur Stressbewältigung und Entscheidungsfindung, die in Krisensituationen angewendet werden können. Die Fähigkeit, Ruhe zu bewahren und klare, präzise Entscheidungen zu treffen, ist in meiner Arbeit als Notfallpsychologie ebenso wie im Cockpit von entscheidender Bedeutung. Diese Fähigkeit lässt sich auch wunderbar erlernen, wenn bei Personen in meiner Zusammenarbeit noch freie Flugflächen oberhalb in Sicht sind, denn die eigenen Dienstgipfelhöhe ist bei Menschen durch persönliche Entwicklung variabel ausbaubar. Der halbe Flug findet vor dem Flug durch eine ausführliche Flugvorbereitung statt, analog werden Krisen in Unternehmen durch das präventive und fundierte Vorbereiten von Krisenmanagement und -kommunikation am besten schon angegangen, bevor der Notfall eintritt. Deshalb ist Feuerlöschen nur ein Teilbereich meiner Arbeit, noch wichtiger ist die Beschäftigung mit individuellen, branchenabhängigen Krisen und Lösungen.

Abb. 2: Die Dienstgipfelhöhe bezeichnet in der Luftfahrt die Höhe, bei der die maximale Steigleistung eines Luftfahrzeugs bei maximaler Dauerleistung des Motors und maximal zulässiger Gesamtmasse bei Propeller-Flugzeugen noch 100 ft/min beträgt. Viel höher geht es also dann nicht mehr.

II. Risikomanagement


Wirtschaftspsychologie: Piloten müssen ständig potenzielle Risiken bewerten und minimieren. Sei es durch dichten Verkehr in der Platzrunde an Flughäfen, sich verschlechterndes Wetter durch tiefe Wolken oder einsetzende Desorientierung in unbekannten Regionen. Bei all diesen Beispielen stehen Lösungsansätze zur Einschätzung der Lage und Hilfestellung bereit. Diese Fähigkeit ist im Unternehmertum unerlässlich, wo das Managen von finanziellen, operativen und strategischen Risiken zum Tagesgeschäft gehört. Die Prinzipien des Risikomanagements aus der Luftfahrt lassen sich direkt auf die Geschäftswelt übertragen und mit technischen und psychologischen Instrumenten lösen oder zumindest Risiken minimieren.

Notfallpsychologie: In akuten Krisensituationen ist das effektive Management von Risiken entscheidend. Die Fähigkeiten, Risiken schnell zu identifizieren, zu bewerten und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, sind für Unternehmer sowie Führungs- und Fachkräfte essenziell. Die systematische Herangehensweise an Risiken und die langjährige minutiöse Aufarbeitung von Unfällen und Beinaheunfällen in der allgemeinen und kommerziellen Luftfahrt bietet ein wertvolles Modell für den Umgang mit Notfällen in der Unternehmenswelt, weil durch standardisierte Prozesse, Checklisten, Notfallübungen und Aufarbeitung ein etabliertes Modell eingeübt werden kann. Dies versuche ich auch verstärkt in die von mir betreuten Unternehmen zu übertragen, um vom reinen Reagieren und Lavieren zum strukturierten, zahlenbasierten Agieren zu gelangen.


III. Stressbewältigung und Resilienz


Wirtschaftspsychologie: Die Fähigkeit, unter Druck ruhig und konzentriert zu bleiben, ist im Cockpit unerlässlich und auch in der Geschäftswelt von großem Nutzen. Das Wissen, wie man mit Stress umgeht und Resilienz aufbaut, kann die Leistung und das Wohlbefinden von Mitarbeitern und Führungskräften erheblich verbessern. In der Fliegerei gibt es in gewissen Phasen, beispielsweise bei der Landung, das sogenannte sterile Cockpit, um konzentriert ohne Ablenkung durch Small Talk oder belanglose Inhalte seine Arbeit optimal zu verrichten. In Unternehmen versuche ich ebenfalls die Ablenkung durch Smartphone & Co. sowie ständiger Erreichbarkeit zu minimieren, um einen gewinnbringenden Flow zu etablieren.

Notfallpsychologie: Notfallpsychologen müssen nicht nur anderen helfen, mit Stress umzugehen, sondern auch selbst in belastenden Situationen funktionsfähig bleiben. Die Techniken zur Stressbewältigung und Resilienz, die während der Pilotenausbildung erlernt werden, sind direkt auf die Arbeit in Krisensituationen anwendbar. Atemübungen sind da ebenso Inhalt wie eine ausführliche mentale Vorbereitung auf potenziell eintretende kritische Situationen. Natürlich haben mir meine Kenntnisse im Umgang mit eigenen Emotionen in Stress- und/oder Angstphasen ebenso bei meiner Ausbildung im Cockpit geholfen. Insbesondere vor meinem ersten Soloflug in der Platzrunde in Kiel (EDHK) und bei meinem ersten Überland-Soloflug (allein ohne Fluglehrer) von Kiel nach Flensburg (EDXF), als die Nervosität in der Nacht zuvor schon merklich anstieg.


IV. Teamarbeit und Kommunikation


Wirtschaftspsychologie: Effektive Kommunikation und Teamarbeit sind im Cockpit ebenso wie im Unternehmensumfeld entscheidend. Die klare und präzise Kommunikation, die in der Luftfahrt geschult wird, kann die Effizienz und das Verständnis in Teams erheblich verbessern. Nicht umsonst wird Crew/Single Pilot Resource Management (CRM & SRM) erfolgreich seit Jahren für die Ausbildung von Teams in anderen Wirtschaftszweigen, etwa in Kliniken, eingesetzt. Persönlich bemerkte ich auch bei so mancher kritischen Situation wie unterschiedlich die Interpretation von vermeintlich eindeutigen Informationen sein kann, weswegen im Zweifel nachfragen und eine einheitliche Funkphraseologie zur präzisen Kommunikation in der Luftfahrt die logische Konsequenz sind. Konflikte und Missverständnisse lassen sich in beruflichen Teams in meiner Arbeit durch eine klare, eindeutige und erklärende Kommunikation so auch in der Regel bereinigen.

Notfallpsychologie: In Notfallsituationen ist die Fähigkeit, klar und effektiv zu kommunizieren, lebenswichtig. Die Prinzipien der Teamarbeit und Kommunikation, die in der Luftfahrt entwickelt wurden, sind auch in der Krisenintervention von großer Bedeutung. In beiden Bereichen sind auch hier Checklisten, Memory Items (wichtige Punkte die auswendig sofort umgesetzt werden können) und eine eindeutige, klare Kommunikation hilfreich.

Abb. 3: Das Crew-Resource-Management-Training (CRM, früher Cockpit Resource Management) ist eine Schulung für Luftfahrzeugbesatzungen, welche die nicht-technischen Fertigkeiten schulen und verbessern soll, um Flugunfällen aufgrund menschlichen Versagens vorzubeugen. Dabei geht es um Kooperation, situative Aufmerksamkeit, Führungsverhalten und Entscheidungsfindung sowie die zugehörige Kommunikation. Ein wichtiger Teilbereich des CRM ist die Aufteilung von Aufgaben und die Absprache darüber, wer welche Aufgaben übernimmt (fällt beim SRM weg).

V. Konzentration und Aufmerksamkeit


Wirtschaftspsychologie: Multitasking und die Fähigkeit, fokussiert zu bleiben, sind sowohl beim Fliegen als auch in der Geschäftswelt gefragt. Die Erfahrungen im Cockpit lehren, wie man mehrere Aufgaben gleichzeitig priorisiert und effizient bewältigt und dabei konzentriert bleibt. Treffender als der inflationär verwendete und unhinterfragte Begriff des Multitaskings wäre also eher ein nahtloses schlüssiges Singletasking (eine Aufgabe nach der anderen in passender Reihenfolge).

Notfallpsychologie: In Notfallsituationen ist die Fähigkeit, aufmerksam und konzentriert zu bleiben, entscheidend. Die Techniken zur Aufrechterhaltung der Konzentration, die während der Pilotenausbildung erlernt werden, sind in Krisensituationen äußerst wertvoll. Und in wenigen anderen Bereichen neben dem Tauchen merke ich aus eigener Erfahrung wie wichtig es ist, einen hohen Standard an Präzession aufrecht zu erhalten, um dem eigenen Sicherheitsinteresse gerecht zu werden. Das Thema mentale und körperliche Eigensicherung und Aufmerksamkeit für sich und seine Klienten ist so auch in meiner Arbeit ein zentraler Bestandteil. Fliegen und Psychologie sind sich dort ähnlicher, als ich es vor ein paar Jahren vermutet hätte.


VI. Selbstreflexion und kontinuierliches Lernen


Wirtschaftspsychologie: Piloten müssen ständig lernen und ihre Fähigkeiten reflektieren. Diese Kultur des kontinuierlichen Lernens und der Selbstreflexion ist auch in meiner Profession als Wirtschaftspsychologe von großer Bedeutung. Die Bereitschaft, sich kontinuierlich zu verbessern, ist eine Schlüsselkompetenz in jeder beruflichen Laufbahn, um nicht stehen zu bleiben und damit zurückzufallen. Dies ist erstmal nichts Neues, am Fliegen jedoch hat mich die Komplexität und Vielschichtigkeit des Hobbies gecatcht, das man so viele Bereiche verbinden muss, um ein sicheres und stimmiges Ergebnis zu erzielen. Etwa müssen Meteorologie mit Aerodynamik des Fliegens, Luftrecht mit Navigation und menschliches Leistungsvermögen mit Technik des Fliegers und des Fliegens verbunden werden. Diese Komplexität und Ganzheitlichkeit sind verzückend und gleichzeitig wird von vielen Interessengruppen versucht, diese Gemengelage durch Regeln und Training beherrschbar zu machen. In der Psychologie versucht man ebenso durch therapeutische Handlungsanleitungen bei psychischen Störungen oder die Erforschung von Konstrukten etwa wie Gerechtigkeit, Vertrauen oder Reifeprozesse das menschliche Dasein zu strukturieren. Etwa lehrte mich die Fliegerei in meiner Arbeit in der Personalauswahl noch gewissenhafter der DIN 33430 für Eignungsdiagnostik zu folgen, um faire, vergleichbare und fundierte Entscheidungen zu treffen.

Abb. 4: Die DIN 33430 beschreibt Anforderungen an berufsbezogene Eignungsdiagnostik. Gegenstand der DIN 33430 sind Qualitätskriterien und -standards für kompetente Personalauswahl. Die Norm bezieht sich auf alle Situationen, in denen die Eignung für Personen beurteilt wird, meistens im beruflichen Kontext.

Notfallpsychologie: Notfallpsychologen müssen ebenfalls ständig lernen und sich weiterentwickeln. Die Selbstreflexion und das kontinuierliche Lernen, die in der Pilotenausbildung gefördert werden, sind für die persönliche und berufliche Entwicklung in diesem Bereich unerlässlich. Es gibt nicht wenige Beispiele in denen Wissen von vor 10 Jahren mittlerweile veraltet ist, weil im Umgang mit stark belasteten Menschen in Krisen über die Jahre durch die Anwendung in Großschadenslagen Veränderungen in den Checklisten umgesetzt wurden und sich zudem die Struktur der Notfallpsychologie in Deutschland und weltweit ständig weiterentwickelt. Daher ist das aktuelle Wissen unentwegt zu erneuern und nicht auf ewig beständig.


VII. Persönliche Weiterentwicklung


Der anfänglich vielleicht naive Einstieg in das Hobby Fliegen hat sich als eine Reise der tiefgehenden persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung erwiesen. Es hat nicht nur praktische Fähigkeiten und theoretisches Wissen erweitert, sondern auch die eigene Resilienz, das Selbstbewusstsein und die Fähigkeit zur Selbstreflexion gestärkt. Die Herausforderungen und Erfolge beim Erwerb der Privatpilotenlizenz haben bei mir dazu beigetragen, weiterhin eine ganzheitliche und belastbare Persönlichkeit zu formen, die sowohl im Beruf als auch im Privatleben von großem Nutzen ist.

Abb. 5: Der Autor grüßt herzlich aus 2000 ft aus einer Cessna 172 auf dem Weg von Kiel (EDHK) nach Fehmarn zur besten Zeit während der Kieler Woche.

VIII. Fazit

Der Erwerb einer Privatpilotenlizenz bietet wertvolle Lektionen, die weit über das Fliegen hinausgehen. Die Erfahrungen und Fähigkeiten, die ich dabei entwickelt habe, sind sowohl in der Wirtschaftspsychologie als auch in der Notfallpsychologie von unschätzbarem Wert. Beide Bereiche, das Fliegen auf der einen Seite und die angewandte Psychologie auf der anderen Seite, befruchten sich wechselseitig auf vorzügliche Weise. Von Entscheidungsfindung und Risikomanagement über Stressbewältigung und Teamarbeit bis hin zu Konzentration und kontinuierlichem Lernen – die Parallelen sind tiefgreifend und vielfältig. Mir zeigt meine Reise der persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung, dass ein zunächst als Hobby betrachtetes Unterfangen zu einer Quelle wertvoller Einsichten und Kompetenzen werden kann und Wachstum und persönliche Weiterentwicklung in so vielen Domänen zu finden ist. Mit Mut, Offenheit und etwas Durchhaltevermögen, lassen sich ganz neue Kontinente im Ozean des eigenen Mindsets finden, von deren Existenz man zuvor vielleicht maximal eine vage Ahnung hatte.

 

„Wer fliegen will, muss den Mut haben, den Boden zu verlassen.“ (Walter Ludin)

 

Ihr Andreas Matuschek

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