I. Prolog
Nach meiner ersten Flugstunde zur Absolvierung der PPL (Privatpilotenlizenz) vor knapp einem Jahr im Februar 2021 ging es mir ähnlich, wie nach meiner ersten Fahrstunde damals vor knapp 20 Jahren beim PKW-Führerschein: Ich wusste danach nicht wirklich, wie wir von A nach B gekommen waren, wie groß mein Anteil daran war und wie zum Teufel ich diese Höllenmaschine jemals allein bändigen sollte. Jedoch dauerte es dann nur wenige Monate und ich wurde im Umgang mit Auto und Motorrad immer sicherer.
Die Beschäftigung mit der Fliegerei zeigte mir neue Welten auf. Erstens hatte ich mich davor nie ausführlich mit Themen wie Luftrecht, Meteorologie, Triebwerks- und Instrumentenkunde, Navigation im Raum, Sprechfunk oder Aerodynamik beschäftigt, um nur einige Ausbildungsinhalte zu nennen. Manche Themen empfand ich sofort als interessant und beschäftigte mich intensiv mit ihnen, zu anderen musste ich erst mal auf Tuchfühlung gehen, um nach und nach eine Verbindung aufzubauen. Zweitens beschäftigte ich mich erstmals ausführlicher mit den unterschiedlichen Facetten der Luftfahrtpsychologie - oft auch bekannt unter Aviation Psychology oder Luft- und Raumfahrtpsychologie. Relevante Teilbereiche sind hier etwa erstens die Auswahl von geeignetem Luftfahrtpersonal (u.a. Fluglotsen, Pilotinnen oder Techniker), für mich als Eignungsdiagnostiker besonders spannend. Zweitens das Crew Resource Management zur Verbesserung der (Krisen-)Kommunikation von Luftfahrzeugbesatzungen, um Flugunfälle durch menschliches Versagen zu vermeiden oder zumindest zu vermindern. Als im Krisenmanagement tätiger Notfallpsychologe ist hier besonders der primärpräventive Ansatz spannend. Drittens die Feststellung, Aufrechterhaltung oder Wiedergewinnung der psychischen Gesundheit durch Begutachtungen und Stressbewältigungstrainings in einem sehr vulnerablen, belastenden und fordernden Arbeitsumfeld. Etwa bei der Betrachtung des Absturzes der Germanwings-Maschine im Jahr 2015 kommen alle drei erwähnten Facetten zusammen - Kompetente Eignungsdiagnostik zur Auswahl von Piloten und Pilotinnen, akutes Krisenmanagement im Flieger und am Boden sowie Aufrechterhaltung der psychischen Gesundheit aller Besatzungsmitglieder. Viertens der Bereich "Human Factors" mit Themen wie Ergonomie, Mensch-Maschinen Schnittstellen sowie menschliche Fehlerquellen. Aus den vielen genannten spannenden, hochrelevanten und lebenswichtigen Tätigkeitsfeldern wird es in diesem Artikel um letztgenanntes gehen: Der Faktor Mensch als Fehlerquelle. Genauer betrachten wir menschliche Eigenschaften, welche im Cockpit nicht weniger als eine Gefahr für Leib und Leben darstellen. Lösungsansätze daraus lassen sich in viele andere Bereiche in der Führungskräfte-, Team oder Organisationsentwicklung anwenden. Nun aber erst mal von vorne.
II. Anti-Autorität ("Regeln sind etwas für Schwache")
Ist es nicht sinnvoll, Autoritäten zu hinterfragen? Ja und Nein. Ein entschiedenes Ja, wenn es (A) darum geht, kritisch gegenüber Schaumschlägern mit Titeln - aber ohne Kompetenzen - zu sein. Oder wenn es darum geht, sich mutig, aktiv und reflektiert gegen Unterordnung und Folgsamkeit zu entscheiden, wenn die eigenen Werte und das eigene Gewissen einem einen anderen Weg weisen (siehe hierzu u.a. das populäre und vielfach zitierte Milgram-Experiment). Ein entschiedenes Nein dagegen, wenn es um (B) die mangelnde Akzeptanz von sicherheitsrelevanten Regeln und Vorschriften geht sowie um die Ignoranz von notwendigen und schlüssigen Entscheidungswegen und Hierarchien im Arbeitsumfeld. Oft drückt sich eine anti-autoritäre Einstellung aus über Gedanken wie: "Regeln und Vorschriften gelten für alle außer für mich!" oder "Sollen sich die braven, unterwürfigen Schäfchen doch an die Norm halten, ich stehe für mich und meine Freiheit ein!" Letzteren Gedanken könnte man sicherlich auch in der aktuellen Pandemie bei einigen Menschen konstatieren. Nicht selten wird zuletzt in Politik, Medien und Psychologie die wertvolle Verknüpfung von Freiheit und Verantwortung akzentuiert. Da dies kein politisches Essay werden soll, zurück zur Fliegerei. Hier erhöht die Missachtung von Vorschriften, weil sie für unnötig bürokratisch oder als aufwendige Bürde empfunden werden, die Gefahr für Unfälle und Fehler. Wenn anti-autoritäres Verhalten so häufig gezeigt wird, kann es sich zur destruktiven Gewohnheit entwickeln. In der Fliegerei ein nicht tolerierbares Verhalten.
Lösungsmöglichkeiten: Eine Lösung liegt in der Selbstreflexion des eigenen Verhaltens und der eigenen Motive. Dabei gilt es beim Widerstand gegen Autoritäten - ob in Form von Persönlichkeiten, Normen, Gesetzen oder Checklisten - zu unterscheiden, ob man gerade Autoritäten im Sinne von (A) oder (B) kritisch hinterfragt. Wenn es wie bei (A) oben erläutert um die Verletzung von kollektiven und individuellen Werten (bitte jetzt nicht gleich pandemiemüde mit der individuellen Freiheit kommen) geht, würde ich jeden Menschen dazu einladen, stets kritisch zu sein und nicht stromlinienförmig und folgsam alles unhinterfragt mitzumachen. Kritisches Denken stellt für sich genommen einen unverrückbaren Wert dar. Wenn es allerdings im Kern um (B), also um sicherheitsrelevante Normen zum Wohle aller in Form beispielsweise eines sicheren Flugbetriebs geht, dann ist der Widerstand dagegen und das Ignorieren von Regeln gefährlich. Es lohnt sich daher immer mal wieder den oft innerlich diffusen und nebulösen Widerstand, das automatisierte "Dagegen-Sein" und die intrapsychische Anspannung zu reflektieren, um ein Gefühl für sich und einen Eindruck von eigenen handlungsleitenden Motiven zu erhalten. Sie werden über die Ergebnisse der Reflexion überrascht sein, ob in der Fliegerei oder in so ziemlich allen anderen Bereichen des menschlichen Daseins.
III. Macho-Gehabe ("Der Hirsch bin ich")
Menschen verhalten sich in Gruppen anders, als wenn sie alleine sind. Diese Gruppendynamik spielt auch in der Fliegerei eine Rolle. Mit einer Gruppe als Zuschauer, wie etwa die eigene Besatzung oder das mitfliegende Publikum, neigen manche Menschen dazu auf Imponiergehabe umzustellen, um zu beweisen, was für ein großartiges menschliches Exemplar sie doch sind. Besonders neigen Menschen mit einem unangemessen "hohen" Selbstwertgefühl dazu, Risken in Kauf zu nehmen, weil sie auf bekannte und erlernte Sicherheitskonzepte pfeifen. Zumindest legt ihr Verhalten manchmal den Fehlschluss einer hohen Ausprägung des Selbstwertes nahe. Konkret könnte dies bedeuten, dass ein Privatpilot mit Freunden in einer Cessna 172 unterwegs ist und zu tief fliegt, um seinen Freunden fulminate Fotos zu ermöglichen, und dabei Windräder, Strommasten usw. übersieht, glaubt er doch, die anderen damit beeindrucken zu können. Oder wenn ein Pilot beim Fliegen nach Sichtflugregeln (VFR) in eine Wolke fliegt, um den anderen Mitfliegenden einen kurzen Schreck einzujagen und um zu zeigen, dass von ihm oder ihr jede Situation beherrscht wird. Dies ist allerdings stets mit der Gefahr der räumlichen Desorientierung verbunden. Mit gutem Grund gilt beim Fliegen nach Sichtflugregeln u.a. die Regel: Es ist durchgehend Bodensicht herzustellen und Wolken dürfen nicht durchflogen werden. Ähnlich gefährlich wäre Macho-Gehabe bei Piloten und Pilotinnen mit einer Multi-Crew Pilot Licence (MPL) - was eine Berufspilotenlizenz mit Fokus verstärkt auf ein 2-Mann-Cockpit ist - und dem Anspruch allein alle Entscheidungen zu treffen und die Verweigerung einer gemeinsamen Abstimmung in herausfordernden Situationen.
Lösungsmöglichkeiten: So gibt es etwa bei der eben erwähnten MPL das Prinzip des Threat und Error Managements (TEM), um Störungen und Unfälle aufgrund mangelhafter Sozialkompetenzen zu vermeiden. Und in der Einleitung fiel bereits der Begriff des Crew Resource Managements (CRM) als weiterer essenzieller Bestandteil in der Ausbildung, um den Fokus auf nicht-technische Fertigkeiten zur Vermeidung von Flugunfällen aufgrund menschlichen Versagens zu legen. Inhalte sind hier etwa Kooperationen, Führungsverhalten, Entscheidungsfindung sowie jeweils die damit verbundene passende Art und Weise der Kommunikation. Innerhalb des CRM kann es etwas eine Aufgabenteilung zwischen zwei Besatzungsmitgliedern geben, wobei einer ein technisches Problem löst und der andere das Flugzeug fliegt, verbunden mit der unentwegten Abstimmung über Verlauf und Veränderungen. Immer öfter wird die Essenz des CRM auch auf andere Teams in den öffentlichen und wirtschaftlichen Bereich übertragen. Teams im Schockraum eines Klinikums werden etwa genauso darin geschult wie Teams in der Bundeswehr oder in Privatunternehmen zur strukturierten Entscheidungsfindung unter Anspannung, Zeitdruck und unvollständigen Informationen. Im Cockpit stellen die angerissenen Maßnahmen einen enorm wichtigen Part der Ausbildung dar, zumindest wenn eine Crew vorhanden ist. Als Pilot in Command (PIC) mit einer Privatpilotenlizenz zum nicht-gewerblichen Fliegen von einmotorigen Flugzeugen mit Kolbentriebwerk gibt es keine Crew - man ist als Pilot oder Pilotin allein verantwortlich. Daher ist es unfassbar wichtig seine Handlungsmotive zu hinterfragen. Ob wie oben erwähnt bei der anti-autoritären Einstellung, im hier erwähnten Kontext um Macho-Gehabe oder bei allen noch kommenden gefährlichen Einstellungen.
IV. Impulsivität ("Gut Ding will Eile haben")
Im Grenzbereich gibt es als Pathologie die Impulskontrollstörung (für die Interessierten zum Nachlesen: Im ICD-10 unter F63 zu finden). Aber auch ohne krankhafte Ausprägung dürften vielen Menschen den Drang kennen, sofort zu handeln, obwohl erst einmal Zeit, Energie und Gehirnschmalz angeraten wäre, um eine adäquate Entscheidung zu treffen. Dies ist im Alltag auch nicht automatisch katastrophal und hängt von der Wichtigkeit der Situation und dem Kontext ab. Wenn Sie im Alltag also beim Brunchen mit Freunden, ohne groß nachzudenken in angeregter Stimmung, einfach raushauen, was Ihnen so einfällt, kann dies auch durchaus witzig, bereichernd und stimmungsfördernd sein. Im Cockpit ist die Gemengelage dagegen eine andere. Für alle Standardsituationen gibt es Prozedere und Checklisten. Und wenn eine Situation unklar ist, ist in der Luftfahrt eine Entscheidungsfindung durch die Analyse aller verfügbaren Handlungsmöglichkeiten erstrebenswert. Klingt erst mal langweilig und umständlich? Wenn es das Überleben sichert, mag es ungelenk wirken, aber eine Zukunft sicherstellen, in der Sie dann auch wieder mal spontan und ungezwungen sein können. Wieso? Ganz einfach - weil Sie noch am Leben sind.
Lösungsmöglichkeiten: Die gerade erwähnte Situationsanalyse zum Einfangen impulsiver Schnellschüsse stellt einen wirksamen Lösungsansatz dar. Die luftfahrttechnische Entscheidungsfindung ist eine der wichtigsten Kompetenzen für Piloten und Pilotinnen. Denn trotz Standardisierung und Automatisierung des Flugbetriebs gibt es immer wieder Aufgaben und Situationen, in denen Piloten selbstständig komplexe Entscheidungen treffen und umsetzten müssen. Da kann die FORDEC-Struktur helfen. Das Akronym steht für F wie "Facts" (Zusammentragen aller wichtigen und verfügbaren Fakten), O wie "Options" (Jedes Besatzungsmitglied erarbeitet aufgrund der vorhanden Fakten selbstständig Handlungsoptionen, anschließend werden sie zusammengetragen; beim Single Crew Cockpit kann das auch das "innere Team" sein), R wie "Risks and Benefits" (Abwägen von potenziellen Risiken und Nutzen der verschiedenen Handlungsoptionen), D wie "Decision" (Unter Berücksichtigung aller verfügbaren Aspekte trifft die gesamte Crew eine folgerichtige Entscheidung, bei der die Option mit den geringsten Risken und dem höchsten Nutzen gewählt wird), E wie "Execution" (Ausführung der Entscheidung) und schlussendlich C für "Check" (Überprüfung der Ausführung und des Ergebnisses). Wenn eine Analyse in dieser Reihenfolge einstudiert und angewandt wird, verhindert sie schlechte, halbgare und impulsive Entscheidungen. Wenn dringender Handlungsbedarf besteht, kann sich beispielsweise die R-Phase auf eine Analyse sicherheitsrelevanter Kriterien beschränken. Es ist also kein komplett starres Prozedere, sondern soll eine Hilfestellung bieten, ohne Entscheidungen unnötig zu verlangsamen. Von diesem Mechanismus der - wenngleich auch oft erstmal wenig sexy und umständlich wahrgenommen - Entscheidungsfindung können sicherlich auch Führungskräfte und Arbeitsteams profitieren. Denn impulsives Verhalten aufgrund von einer Eingebung durch Intuition ist allzu oft für die Tonne.
V. Unverwundbarkeit ("Es ging doch immer gut")
Menschen, die diese Charaktereigenschaft mitbringen, gehen oft ähnlich wie beim Macho-Gehabe unnötige Risiken ein. Sind diese dem Macho vielleicht noch bewusst, sind Personen, die sich für unverwundbar halten, oft gar nicht in der Lage Risiken angemessen einzuschätzen. Sie sind sich der eventuellen Gefahr einer Situation schlichtweg nicht bewusst. Wieso? Weil sie die Vorstellung haben, dass schreckliche Dinge nur anderen Menschen und nicht ihnen selbst passieren. Dadurch verbauen sie sich eine angemessene Situationsanalyse, da sie ja unnötig erscheint.
Grundsätzlich wissen Menschen zwar, dass es jederzeit zu plötzlichen Abweichungen von Vorhaben, Zielen und Abläufen kommen kann. Deshalb befinden sich viele Menschen in einer Art Zustand erhöhter Anspannung. Dies ermöglicht zumindest in Teilen eine kritische Situation vorab zu erkennen. Nicht wenige haben dann aber wiederum einen überbordenden Optimismus, dass schon nichts Schlimmes passieren wird. Optimismus ist gut und wichtig und stellt nicht umsonst in vielen Konzepten zur Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit) einen notwendigen Teil dar, um der unsicheren und komplexen Welt Einhalt zu gebieten. Nur ist ihre übersteigerte Entartung die Idee von Unverwundbarkeit.
Lösungsmöglichkeiten: Eine Lösung ist also durchaus weiterhin optimistisch und gelassen zu bleiben, bei gleichzeitigem Bewusstsein um realistische Gefahrenquellen. Es ist wichtig sich bewusst zu machen, dass die überwiegende Mehrheit der Flugunfälle - etwa 80 Prozent - auf das Konto menschlicher Fehler zurückzuführen sind. Zu deren Vermeidung kann eine einfache, aber effektive Checkliste - wieder in Form eines Akronyms - Abhilfe schaffen: I´M SAFE. Dies steht für I wie "Illness" (Spüre ich irgendwelche Symptome einer Erkrankung?), M wie "Medication" (Nehme ich Medikation ein und welche Nebenwirkungen können auftreten?), S wie "Stress" (Wie viel Druck lastet auf mir und wie geht es mir emotional?), A wie "Alcohol" (Habe ich Restalkohol oder bestehen insgesamt ein riskanter Konsum von legalen oder illegalen Drogen?), F wie "Fatigue" (Bin ich müde oder fit genug um zu fliegen?) und E wie "Eating" (Habe ich ausreichend Flüssigkeit und Nahrung aufgenommen?). Die Checkliste zur Überprüfung der mentalen und körperlichen Fitness bietet ähnlich wie die vorher vorgestellte Checkliste zur Analyse unklarer Situationen Struktur und Handlungshilfen an neuralgischen Punkten. Als mein Fluglehrer das erste Mal anrief, um eine Flugstunde mit der Begründung abzusagen, dass er nicht gut geschlafen habe und übermüdet sei, dachte ich noch insgeheim, ob eine Absage wirklich Not tue. Mit etwas Abstand und Selbstreflexion sowie dem Wissen um menschliche Fehlerquellen, bin ich froh so einen verantwortungsbewussten Fluglehrer zu haben, der sich nicht für unverwundbar hält.
Wenn das Gefühl der persönlichen Unverwundbarkeit jedoch chronisch ausgeprägt und keine Heilung in Sicht ist, kommt eine hochwertige Eignungsdiagnostik zum Zug, um ungeeignetes Personal ausschließen. Denn wenn einigermaßen klar ist, dass sich an einer bestimmten Persönlichkeitseigenschaft auch durch interne Schulungen, Coachings und persönliche Weiterentwicklung nichts Grundlegendes verändert, muss man die Perlen nicht vor die Säue werfen und lieber ausgeglichenen Persönlichkeiten eine Chance geben, die wichtigen Rollen im Flugbetrieb zu übernehmen - ob in der Flugkontrolle, im Cockpit oder in der Technik. Die Notwendigkeit einer kompetenten Personalauswahl trifft auf alle erwähnten gefährlichen Eigenschaften zu.
VI. Selbstgefälligkeit ("Mit meiner Erfahrung macht mir keiner etwas vor") Damit ein Profi ein Profi bleibt, ist permanente Präzession notwendig. Wenn einmal der Schlendrian eingezogen ist und man träge und nachlässig wird, sind Fehler und die Verminderung der Qualität vorprogrammiert. Denn Nachlässigkeit kommt oft im nächsten Atemzug nach der Selbstgefälligkeit. Diese führt zu einer reduzierten Sensibilität für Gefahren. Der hohe Grad an Automatisierung und die Zuverlässigkeit moderner Flugzeuge sowie die Etablierung von Routinen können einen in einem übersteigenden Gefühl von Sicherheit wiegen und daher zur Selbstgefälligkeit führen (man denke auch an Berichte von erfahrenen Kletterern, die nach jahrelanger Praxis einfach vergessen sich anzuseilen und in den Tod stürzen). Wenn Piloten durch Routinen und Erfahrungen in der Handhabung ihres Flugzeugs immer sicherer werden und vermeintlich alle Abläufe und Verfahren kennen, ist der Gefahr einer übersteigerten Selbstzufriedenheit der Weg gebahnt. Verstehen Sie mich nicht falsch - gegen Erfahrungen, Expertentum und Routinen ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil - sie sind ausdrücklich zu begrüßen. Nur wenn bestimmte Persönlichkeiten zu reichlich mit der erwähnten Selbstzufriedenheit ausgestattet sind, besteht die Gefahr der Überheblichkeit und dem aus den Augen verlieren der zu Beginn erwähnten Präzession. Es ist im Flugbetrieb unabdingbar stets wachsam, aufmerksam und kritisch zu bleiben.
Lösungsmöglichkeiten: Eben besagte Wachsamkeit bzw. Selbstaufmerksamkeit ist sodann auch eine Möglichkeit, um die eigene Selbstgefälligkeit im Zaum zu halten. Es ist wichtig eigene Verhaltensweisen unentwegt kritisch zu reflektieren und immer wieder zu betrachten, wie weit man von einem gewissen - zu empfehlenden Standard entfernt ist. Sie alle kennen wahrscheinlich eine nicht unbeträchtliche Abwandlung ihres Fahrstils im PKW über die Zeit vom Erwerb des Führerscheins bis heute. Klar, sie wurden sicherer und routinierter im Umgang mit ihrem Fahrzeug und im Straßenverkehr allgemein. Halten Sie sich allerdings noch gleichermaßen an die erlernten Sicherheitsfaktoren wie Geschwindigkeitsbegrenzungen, 2 Sekunden warten beim Stopp-Schild usw.? Wahrscheinlich nur bedingt und nicht durchgehend. In der Fliegerei sind solche Abweichungen unverzeihlich, weil mit ihnen ein enormes Sicherheitsrisiko einhergeht. Die einzige Möglichkeit ist daher Wachsamkeit und Disziplin, um besagte Präzession stets im Blick zu haben. Dies ist darüber hinaus auch in unterschiedlichen beruflichen Bereichen von großer Bedeutung zur Sicherstellung von hoher Qualität.
VII. Selbstunsicherheit ("Augen zu und auf und davon")
Selbstunsicherheit bzw. Resignation ist eine Verhaltensweise, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das Treffen schwieriger Entscheidungen oder die Übernahme von Verantwortung vermieden wird. Gleichzeitig neigen Menschen mit einer hohen Ausprägung dieser Eigenschaft dazu, sich dem Gruppenzwang zu fügen und der Meinung von anderen Personen ein Vorrecht vor der eigenen Meinung einzuräumen. Bezogen auf das oben erwähnte Crew Resource Management ist dies denkbar schlecht, weil hierbei besonders gefördert werden soll, dass alle Mitglieder ihre Meinung einbringen, um die Perspektiven zu weiten. Konformität aufgrund von unsicherem und vermeidendem Verhalten wird dagegen als gefährlich und fehlererzeugend abgelehnt. Schlussendlich führt ein zu viel dieser Eigenschaft auch dazu, dass riskantes und irrationales Verhalten im nahen Umfeld toleriert wird, um nicht vermeintlich als Feigling oder Langweiler wahrgenommen zu werden. Diese und die anderen erwähnten Facetten dieser Eigenschaft sind also allesamt gefährlich und kontraproduktiv im fliegerischen Milieu.
Lösungsmöglichkeiten: Es ist nur menschlich, an unterschiedlichen Stellen im Leben immer mal wieder an sich zu zweifeln und hier und da auch mal eine Situation oder einen Konflikt zu vermeiden. Diesem Mechanismus sollte man aber mit einem proaktiven Mindset begegnen. Es geht um aktives Gestalten und die Überzeugung, Situationen ändern und beeinflussen zu können versus passives Abwarten und schicksalhaftem Fügen. In der Psychologie spricht man auch von einer hohen Kontrollüberzeugung und einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung. Eine hohe Ausprägung auf diesen Dimensionen ist so auch für ein proaktives Mindset essenziell. Wenn man dann noch etwas Mut an seiner Seite hat und einfach mal damit anfängt, die eigenen Ängste und Zweifel herauszufordern und schwierigen Situationen begegnet, anstatt vor ihnen zu fliehen, wird man persönlich reifen und dadurch auch für andere Teammitglieder, z. B. die Cockpit-Crew oder ein anderes Arbeitsteam, über die Zeit eine wertvolle und unverzichtbare Ressource.
VIII. Epilog
Es leuchtet nun denke ich ein, dass Piloten und Pilotinnen, Fluglotsen und Technikerinnen im Flugbetrieb möglichst geringe Ausprägungen der besprochenen Eigenschaften - Selbstunsicherheit, Selbstgefälligkeit, Unverwundbarkeitsgefühle, Impulsivität, Macho-Gehabe und Anti-Autorität - aufweisen sollten. Durch kompetente Personalauswahl, Aus- und Weiterbildung und das Hochhalten eines enormen Qualitätsstandards wird der Raum für bestimmte Exemplare, die beispielsweise zu einem selbstgefälligen, impulsiven Habitus neigen, kleiner und überschaubar. Dennoch passieren auch weiterhin die meisten Fehler im Flugbetrieb aufgrund menschlicher Fehlleistungen. Diese Fehler sind nicht ausschließlich mit den oben erläuterten Eigenschaften erklärbar, sie haben aber ihren Anteil daran. Oft sind es auch ungünstige Akzentuierungen von Eigenschaften, die die Waage in einer brenzlichen Situation in die falsche Richtung ausschlagen lassen können. Neben menschlichen Eigenschaften sind Konzentrations- und Aufmerksamkeitsdefizite und Reibungen an den Schnittstellen zwischen Menschen und Soft- oder Hardware genauso problematisch wie ein suboptimales Krisenmanagement und eine mangelhafte Krisenkommunikation. Mit dem heutigen Artikel hoffe ich, Ihnen einen kleinen Teil der vielen noch unbekannten Bereiche der Luftfahrtpsychologie näher gebracht zu haben. Mein Hobby und mein Beruf als selbstständiger Psychologe haben den Blick für diese spannende Disziplin geschärft. Die Verknüpfung von Luftfahrt- und Umweltpsychologie bietet sicherlich auch spannende Diskussionen. Und wie oben teilweise angedeutet, sind Erkenntnisse zur Behebung von Fehlerquellen und Ausbildungsinhalte wunderbar ebenso für die Führungskräfte-, Team- und Organisationsentwicklung in Unternehmen, aber auch im Bereich Eignungsdiagnostik und im Krisenmanagement relevant und betrachtenswert. Bei Rückfragen und Anmerkungen melden Sie sich wie immer gerne bei mir.
"Wenn du das Fliegen einmal erlebt hast, wirst du für immer auf Erden wandeln, mit deinen Augen himmelwärts gerichtet. Denn dort bist du gewesen und dort wird es dich immer wieder hinziehen." (Leonardo Da Vinci)
Ihr Andreas Matuschek
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