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  • AutorenbildAndreas Matuschek

Faszination Schlaf

Aktualisiert: 13. Jan. 2020

"Ich bin so knallvergnügt erwacht.

Ich klatsche meine Hüften.

Das Wasser lockt, die Seife lacht.

Es dürstet mich nach Lüften.

Aus meiner tiefsten Seele zieht

Mit Nasenflügel beben

Ein ungeheurer Appetit

Nach Frühstück und nach Leben."

(Joachim Ringelnatz)


Joachim Ringelnatz hatte ganz offensichtlich eine wunderbare Nacht und ist bereit für einen tollen Tag. Dies ist allerdings nicht der übliche Tenor in unserer Gesellschaft, denn ein deutsches Sprichwort sagt: "Kein größerer Dieb als der Schlaf: Er raubt uns das halbe Leben." Auch wenn die Hälfte der Zeit unseres Lebens nicht ganz stimmen mag, haben viele sich vielleicht schon einmal bewusst gemacht, dass wir Menschen circa 1/3 unseres Daseins als Erwachsene verschlafen, denn im Durchschnitt circa 8 Stunden täglich. Säuglinge und Kleinkinder schlafen noch deutlich mehr (s. u. III.1.)


Abb. 1: Säuglinge schlafen in der Regel 16 bis 20 Stunden täglich.

Aber Schlafen ist nicht einfach verlorene Zeit, sondern ganz im Gegenteil ein unglaublich faszinierendes Thema, mit dem eine genauere Beschäftigung lohnenswert ist. Wie sehr wir Schlaf brauchen, zeigt sich, wenn wir verstehen, dass Schlafentzug zu vielfältigen negativen körperlichen und psychischen Reaktionen führt. Daher wird der Entzug von Schlaf auch als Foltermethode eingesetzt (z. B. durch Verhinderung sich hinlegen zu können, Helligkeit und Lärm --> Stichwort "Weiße Folter"). Aber auch im Alltag kann ein gestörter Schlaf zu vielfältigen Belastungen führen. Die "International Classification of Sleep Disorders" zählt beispielsweise über 60 verschiedene Schlafstörungen, wie etwa Schlafwandeln, zirkadiane Rhythmusstörungen (Schlafen und Wachsein zum "falschen" Zeitpunkt) oder schlafbezogene Atmungsstörungen (z. B. Schlafapnoe). Mittels Elektroenzephalographie (EEG) lassen sich beispielsweise im Schlaflabor die unterschiedlichen Phasen des Schlafs darstellen, in welchen verschiedene Gehirnaktivitäten abgleitet werden. Dadurch können die Forscher wichtige Informationen gewinnen, die manchmal zu Verbesserung eines gestörten Schlafs beitragen können. Durch die Schlafforschung verdichtete sich in den letzten Jahrzehnten unser Wissen um den Schlaf. Es hat sich beispielsweise herausgestellt, welch wichtige Rolle ein gesunder Schlaf etwa für die Gedächtniskonsolidierung (Abspeicherung von Inhalten) oder die Funktionalität unseres Immunsystems hat.


Im Folgenden möchte ich nun mit ein paar gängigen Schlafmythen aufräumen (I), bevor ich dann darauf eingehe, wie "Schlaf" überhaupt gemessen werden kann (II.). Abschließend möchte ich noch etwas genauer die wichtigen Funktionen des Schlafs darstellen (III.).


I. Schlafmythen


Es gibt immer noch vieles was wir nicht wissen und ebenso ranken sich Gerüchte um den Schlaf und Mythen halten sich hartnäckig. Es ist daher also Zeit mit ein paar bekannten, aber falschen Mythen über den Schlaf aufzuräumen.


1 Mythos: Man muss jede Nacht 8 Stunden schlafen

Die optimale Schlafdauer variiert individuell. Manche Menschen kommen im Durchschnitt mit weniger als 7 Stunden gut zurecht, andere wiederum brauchen durchschnittlich mindestens 9 Stunden Schlaf pro Nacht um sich erholt zu fühlen. Die ideale Schlafdauer gibt es daher nur statistisch.


2. Mythos: Ein gesunder Schläfer schläft durch

Zum physiologischen Schlaf gehört es jede Nacht wiederholt aufzuwachen. Meistens jedoch ohne es zu bemerken. Erst wenn man regelmäßig Alpträume hat und im Bett hochschreckt, durch Atemaussetzer wach wird oder nachts stundenlang im Bett grübelt lässt sich nicht mehr von einem gesunden Schlaf sprechen. Die Grafik (Abb. 2) zeigt, wie sich die verschiedenen Schlafphasen nachts wiederholen und wir dazwischen auch immer wieder kurz wach werden. Dies ist ganz natürlich und gesund.

Abb. 2: Die unterschiedlichen Schlafphasen mit mehren wachen Episoden (W) während einer typischen Nacht (Messung mittels EEG).

3. Mythos: Der Schlaf vor Mitternacht ist der gesündeste

Für das Gefühl der Erholung am Morgen scheint die erste Hälfte des Nachtschlafes nach aktuellem Forschungsstand am wichtigsten zu sein, denn in dieser tritt besonders viel des wichtigen Tiefschlafs auf. Dagegen ist es relativ unwichtig, ob dieser Tiefschlaf vor oder nach Mitternacht erfolgt.


II. Messung des Schlafs


Nachdem wir nun mit ein paar Mythen aufgeräumt haben, stellt sich die Frage wie Schlaf eigentlich gemessen wird. Bereits in der Einleitung war bereits die Rede von der Elektroenzephalographie (EEG), mit der die Gehirnaktivität gemessen wird um die verschiedenen Schlafstadien unterscheiden zu können. Im Schlaflabor werden aber noch jede Menge weiterer Parameter erfasst. Diese umfangreiche Messung physiologischer Funktionen des Schlafs nennt sich Polysomnographie. Auf Einzelne der wichtigsten Messungen möchte ich nun kurz eingehen.


1. Elektroenzephalographie (EEG):

Mit Fug und Recht lässt sich sagen, dass das EEG von allen Messungen am meisten zum aktuellen Stand in der Schlafforschung beigetragen hat. Durch die Ableitung der Gehirnaktivität mittels EEG wissen wir um die festgelegten Muster des Schlafs. Tiefschlafphasen werden von REM-Phasen (REM = Rapid Eye Movement) abgelöst, dazwischen gibt es Phasen des leichteren Schlafs. Diese Zyklen wiederholen sich etwa vier bis fünf Mal pro Nacht. Mit dem EEG lässt sich der Schlafverlauf aufzeichnen, ohne ihn zu stören. Für jede Schlafphase (s. a. Abb. 2) gibt es ein charakteristisches Wellenmuster. Der Schlafrhythmus wird im allgemeinen durch unsere innere Uhr gesteuert, deren Taktgeber das Tageslicht ist. Beispielsweise werden bei zunehmender Dunkelheit vom Gehirn Hormone (Melatonin) ausgeschüttet, welche uns müde machen.


2. Elektromyographie (EMG):

Mittels EMG wird die elektrische Muskelaktivität gemessen. Einerseits wird die Aktivität am Kinn gemessen, was Rückschlüsse auf zum Beispiel Zähneknirschen liefern kann. Andererseits wird die Muskelaktivität an den Beinen erfasst, was Informationen über das Bewegungsverhalten während des Schlafs liefern kann (z. B. Restless-Legs-Syndrom = Bewegungsdrang der Beine vor allem in Ruhesituationen).


3. Elektrokardiographie (EKG):

Unterschieden werden hier Ruhe-EKG, Belastungs-EKG und das Langzeit-EKG. Im Schlaflabor spielt in der Regel das Ruhe-EKG eine Rolle, bei dem mittels Elektroden die herzeigenen Stromimpulse aufgezeichnet werden, die bei jeder Herzaktion entstehen. Zum Beispiel birgt das Schlafapnoesyndrom (siehe 5. Atmung) ein hohes Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen. Ebenso steigt die Herzfrequenz während eines Alptraums an, was wiederum mit dem EKG gemessen werden kann.


4. Elektrookulographie (EOG):

Hierbei werden entweder die Bewegungen der Augen oder die Veränderungen des Ruhepotentials der Netzhaut gemessen. Für den Bereich der Schlafforschung ist ersteres relevant, denn die Erfassung der Augenbewegung dient zur Feststellung der REM-Phasen im Schlaf. Im Gegensatz zu anderen Blickbewegungsmessungen kann ein EOG auch bei geschlossenen Augen aufgenommen werden. Beispielsweise können in der identifizierten REM-Phase Träumer geweckt werden, um in dieser Periode häufig plastisch, visuell und detailliert vorkommende Träume berichten zu können.


5. Atmung:

Die Atmung wird über Mund und Nase überwacht, um auszuschließen oder festzustellen, ob ein Schlafapnoe-Syndrom vorliegt. Bei diesem Syndrom kann es zu Aussetzern der Atmung von wenigen Sekunden bis mehreren Minuten kommen. Über Gurte mit Dehnungssensoren am Brustkorb und Bauch, kann zudem die Atmungsanstrengung gemessen werden.


6. Sauerstoffsättigung:

Die Sauerstoffsättigung des Blutes wird schließlich mit einem Sensor am Ohrläppchen oder am Zeigefinger gemessen. Zu hohe oder zu niedrige Werte können hiermit überprüft werden um gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu ergreifen.


Natürlich können beispielsweise mit der Einwilligung der Patienten und Patientinnen auch Videoaufnahmen angefertigt werden um nächtlich auffällige Bewegungen zu bemerken. Bei den oben genannten sechs Messungen erfährt der Schlafforscher allerdings die wichtigsten Informationen, um den Patienten bei eventuellen Schlafproblemen helfen zu können. Denn ein Mangel an regelmäßigem, erholsamen Schlaf hat einige Nebenwirkungen, da manche Bereiche unseres Körpers im Schlaf sehr aktiv sind und wichtige Funktionen erfüllt werden. Dies möchte ich im kommenden Abschnitt skizzieren.


III. Funktionen des Schlafs


Die Aufklärung der biologischen Funktionen des Schlafs ist nach wie vor Gegenstand umfangreicher Forschungsbemühungen. Es gibt aber bereits zum heutigen Zeitpunkt einige Hypothesen, die recht gut durch physiologische und psychologische Experimente untermauert wurden.


1. Reifung des Gehirns

Der REM-Schlaf scheint nach aktuellem Stand der Wissenschaft eine enorm wichtige Rolle bei der Entwicklung des Gehirns zu spielen.

Abb. 3: Skizze eines menschlichen Gehirns

Bei Neugeborenen macht er den größten Teil des Schlafs aus. Studien, die die Auswirkungen von Schlafmangel bei Kleinkindern untersuchten, fanden heraus, dass dies zu Verhaltensstörungen, einer hohen Nervenzellensterblichkeit und reduzierter Gehirnmasse führte.


2. Zellerneuerung

Während des Wachzustandes ist durch die biologischen Filtersysteme (z. B. Blut-Hirn-Schranke) die Versorgung (Nährstoffe) und die Entsorgung (Abfallstoffe) von Gehirn und Rückenmark (Zentralnervensystem) eingeschränkt. Besonders in den Phasen eines hohen Stoffwechsels ist der An- & Abtransport allerdings enorm wichtig, weswegen das glymphatische System, ein spezieller Mikrokreislauf, zur Entfernung von überflüssigen und schädlichen Materialien existiert. Dieses System ist im Schlaf besonders aktiv (lt. Studien mit wachen und schlafenden Tieren), was für die Wichtigkeit der Zellerneuerung während des Schlafs spricht.


3. Regeneration

Schlafentzug beeinflusst das Immunsystem und den Stoffwechsel negativ. Schlaf dagegen fördert die Wundheilung. Im Schlaf kommt es nach heutigem wissenschaftlichen Stand zur einer Energieeinsparung. Zudem konnte gezeigt werden, dass es vor allem im Tiefschlaf zu einer deutlichen Energiespeicherung in verschiedenen Gehirnarealen kommt. Jeder weiß zudem ganz intuitiv wie sich eine schlaflose Nacht am nächsten Tag anfüllt und wie Körper und Geist sich nach Schlaf und Erholung sehnen.


4. Gedächtnis

Mittlerweile konnten die Stärkung von Nervenverbindungen, welche der Speicherung von bestimmten Informationen dienen, während des Schlafes direkt beobachtet werden. Im Schlaf werden Erlebnisse während der Wachphase verarbeitet. Zudem ordnet und sortiert das Gehirn nachts überflüssige Informationen aus. Ich selbst war während des Studiums als Proband im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und habe an einer Studie zur Gedächtniskonsolidierung im Schlaf teilgenommen.


5. Problemlösung während des Schlafs

Zahlreiche ausgeklügelte Experimente zeigten, dass manche Probleme über Nacht gelöst wurden. Nicht umsonst rät der Volksmund bei schwierigen Entscheidungen und Problemen mal "eine Nacht darüber zu schlafen."


Dies sind nur ein paar der wichtigen Funktionen, die der Schlaf nach heutigem Stand der Wissenschaft erfüllt. Zahlreiche andere Funktionen können in den nächsten Jahren entdeckt werden. So wird beispielsweise aktuell erforscht, ob der Tiefschlaf die synaptische Verschaltung beeinflusst. So meinen G. Tononi und C. Cirelli etwa: "Im Wesentlichen ist der Schlaf der Preis, den wir für die neuronale Plastizität zahlen müssen...". Das Gebiet der Schlafforschung, welches insgesamt auch noch eine sehr junge Wissenschaft ist, wird in den nächsten Jahren sicherlich noch viele spannende, verblüffende Erkenntnisse über die Funktionen des Schlafs präsentieren. Die Traumforschung ist nur eine von vielen Bereichen, die noch viele Überraschungen bereithält.

Abb. 4: Die Traumforschung ist ein Teilbereich der Schlafforschung, der nach wie vor Rätsel aufwirft (z. B. luzide Träume)

IV. Fazit

Viele andere spannende Themen wie der Zusammenhang zwischen der Schlafforschung und Sport, Schlaf und Sexualität, Schlaf und Lernen existieren ebenso und sind eine näheren Betrachtung wert. Zudem wurden die Pathologien des Schlafs und Schlafentzung (z. B. Folter) nur kurz angerissen. Träume, Schnarchen sowie Schlaf im Tierreich wurden gar nicht inhaltlich behandelt. Dies zeigt wie mannigfaltig das Thema ist. Ich hoffe dennoch, dass ich einen kurzen Einblick in wesentliche Bereiche der Schlafforschung geben konnte. Gerne können wir dieses Thema auch in einem Training, Coaching oder in einer psychologischen Beratung weiter vertiefen, wenn es von Relevanz ist. Abschließen möchte ich wie gewohnt mit einem Zitat enden:


"Der Schlaf ist doch die köstlichste Erfindung." (Heinrich Heine)


Ihr Andreas Matuschek


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